Der geheimnisvolle Bettler
Sagenwelt

Einst kam ein fremder, unbekannter Bettler nach Andermatt. Es war so garstiges Wetter, dass man keinen Hund aus dem Haus gejagt hätte, und durch die engen Gassen schlich die unheimliche Nacht. An gar manche Tür hatte der Bettler schon geklopft und nach eine Nachtherberge gefragt, aber nirgends war seine Bitte erhört worden. Bei den Vermögenden abgewiesen, wandte er sich zum Haus einer armen Familie. Ob er wohl da weichere Herzen finde und ein bescheidenes Lager?

Und richtig, die freundlichen Armen bewährten ihm Gastfreundschaft. «In eines der beiden Betten können wir dich nicht legen», sagte der Familienvater zu ihm. «Wenn du aber zufrieden bist mit dem Ofenbänkli, kannst du bei uns schlafen und mit uns essen und trinken.« Der müde Wanderer war zufrieden.

Drei Tage lang peitschte der eisige Nordwind graue Nebelfetzen und Regenströme durch das enge Tal. Die guten Leutchen aber schickten ihren Gast nicht fort. Sie teilten mit ihm getreulich Speis und Trank, und das Ofenbänkli diente ihm als Lagerstätte. Am vierten Tage hellte sich der Himmel auf, und der Fremdling reiste weiter. Beim Abschied sagte er denen, die ihn so freundlich aufgenommen hatten: «Geld kann ich euch keines geben, aber etwas will ich euch zur Belohnung eurer Gastfreundschaft zurücklassen.»

Er nahm sein Taschenmesser und schnitt am Türsturz eine ganze Reihe von Buchstaben ein, deren Sinn bis heute niemand erraten hat. Dann fügte er hinzu: «Diese Wohnung wird in grosse Gefahr kommen, aber es wird ihr nichts geschehen.» In der Tat, so erzählt das Volk, brannte später die eine Hälfte des Hauses ab; die andere Hälfte aber, da wo der Bettler beherbergt worden war, blieb von den hungrigen Flammen verschont.

Überliefert von Josef Huber, Erstfeld und J.J. Simmen, Andermatt, aus der Sagen-Sammlung von Spitalpfarrer Josef Müller
Sprecherin: Myriam Planzer
Tonaufnahmen: Florian Arnold