Der Pfarrer als Verräter
Sagenwelt

Segensreich wirken die geistlichen Hirten des geweckten Völkleins in Andermatt. In alten Zeiten aber, so belehrt uns die Volksüberlieferung, gab es auch im Urserntal Seelsorger aus dem Kreis der Weltgeistlichen, die also keinem Mönchsorden angehörten. Der letzte von kaum aus Graubünden – obwohl doch die «Urschner» und «Pintner» wegen der Landesgrenze in argem Streit miteinander lebten.

Einmal berichtete dieser Pfarrer seinen Landsleuten jenseits der Oberalp, sie sollten auf einen bestimmten Sonntag hin die Urschner bewaffnet überrumpeln; das Volk werde dann nämlich ausnahmslos in der Kirche sein. Auch die Stunde des Gottesdienstes teilte er ihnen mit. Der bewusste Sonntag kam um die Weihnachtszeit, mit grausiger Kälte. Die Bündner überschritten in grosser Zahl wohlbewaffnet die Oberalp. Schon erschienen sie an den Halden ob dem Dorf Andermatt.

Eine Kindbetterin aber war zu Hause geblieben, erblickte den Feind, dessen Absicht sie sogleich erriet, eilte zur sorgfältig geschlossenen Kirche, schlug die Fenster ein und schrie so laut sie konnte: »D'Valzauser cheemet, d'Valzauser cheemet!« Die Urschner Männer zerschlugen wütend die Kirchenstühle, brauchten die Trümmer als Knüttel, rückten dem hinterlistigen Feind entgegen und besiegten ihn so gründlich, dass aus seinen Reihen nur noch zwei Mann am Leben blieben.

Den verräterischen Pfarrer hingegen, der an jenem Sonntag absichtlich länger Gottesdienst gehalten hatte als gewöhnlich, verjagten oder erschlugen sie. Von da an erbaten die Andermatter sich Kapuzinermönche als Pfarrherren.

Überliefert von Josef Huber und Frau Simmen-Russi, aus der Sagen-Sammlung von Spitalpfarrer Josef Müller
Sprecherin: Myriam Planzer
Tonaufnahmen: Florian Arnold