Die Nidelgret
Sagenwelt

Nicht weit von Andermatt liegt ein weisser Steinblock. An dieser Stelle soll vor vielen Jahren ein Haus gestanden haben, in dem ein altes Weib wohnte. Sie wurde Nidelgret gerufen, weil sie immer mehr Rahm oder eben Nidel hatte als fünfzig der besten Kühe zur Sommerzeit hergeben. Dabei besass das Weib bloss eine einzige Kuh.

Eines Abends schlüpfte ein neugieriger Kuhsenn in ihren Stall und versteckte sich im Futterkasten, um der Alte beim Melken zuzuschauen. Da sah er die Nidelgret, wie sie einen grossen Zuber vor sich hinstellen und wunderliche Zeichen oder Gebärden machte. Dazu murmelte sie immer vor sich hin: «Häxägüäu und Sännäzoll, von jederä Chuäh zwei Leffel voll.» Der Zuber aber füllte sich sofort bis an den Rand mit dem schönsten Rahm, worauf die Alte ihn auf den Rücken nahm und den Stall verliess.

Der Senn, der sich den Spruch wohl gemerkt hatte, lief voller Freuden nach Hause, um die Kraft der Zauberformel zu erproben. Mit zwei Löffeln aber nicht zufrieden, murmelte er stattdessen: «Häxägüäu und Sännäzoll, von jederä Chuäh zwei Chiibel voll.»

Da aber floss der Rahm in solchen Strömen, dass sich bald Stall und Haus des Kühers damit füllte, so dass er elendiglich in der köstlichen Flut ertrank. Auf dem Dache ihrer Hütte aber sass die Nidelgret und rief: «Der tut's mir nimmer nach!» Und kaum hatte sie das gesagt, so kam eine dunkle Wolke mit fürchterlichem Sturmwind daher gebraust und fegte die Hütte des Kühers samt der der von Gret hinweg.

An dieser Stelle steht seither der weisse Steinblock. Darin steckt die Nidelgret nebst dem habgierigen Sennen, den sie bis zum jüngsten Tage hüten muss.

Aus der Sagen-Sammlung von Spitalpfarrer Josef Müller
Sprecherin: Myriam Planzer
Tonaufnahmen: Florian Arnold