Die Schneidergret
Sagenwelt

Einst ritt ein reicher Urschner Herr über den Gotthard. Er kommt nach Mailand und sieht bei einem schönen Schloss einen Garten. In diesem sieht er die ihm gut bekannte Schneidergret aus dem Urserntal. Sie stahl da grad Zwiebeln und Lauch. Der Herr ritt sofort wieder heim und zwar in einem Höllengalopp, dass ihm niemand hätte nachfolgen können. Wie er zu Hause sagt, er habe die Schneidergret in Mailand gesehen, wollte es ihm kein Mensch glauben. Das «Pflaster» gehe ja nie zum Dorf hinaus.

Man spürte der Sache weiter nach, und zuletzt erwischte man die Gret noch einmal. An der Chilbi wollte sie etwas Gutes kochen. Sie tut Butter in die Pfanne und sagt, sie gehe ins Gärtli, um Zwiebeln zu holen. Man schaut ihr zu, und auf der Stelle war sie verschwunden! Aber als der Anken die ebenrechte Schmelzhitze bekommen hatte, war sie zurück mit den Zwiebeln, die sie in Mailand geholt hatte.

Ihr Mann traute ihr je länger je weniger und klagte, bis man sie endlich einfangen wollte. Aber es getraute sich keiner, das Gretli zu packen. Da kommt schliesslich ein Göschener und sagt, er wolle es versuchen. Er stellt einen Mistkarren vor die Kirchentüre, und wo das Gretli aus der Kirche herauskommt, nimmt er es, schwingt es dreimal in der Luft herum und wirft es in den Karren. «Jesses, Jesses!», schrie das Gretli. «Jetz isch es gscheeh um ds Chinds Milchli!»

Die Leute führen die Schneidergret zum Galgen zwischen Hospental und Andermatt. Da hatten sie einen grossen Scheiterhaufen bereit gemacht. Sie packen das Gretli und werfen es ins Feuer. Ein ganzer Trupp Kinder, die dabei waren, johlt: «Juhei, juhei, jetz hemmer ds Gretli im Sack!» Aber das Gretli macht ein Augen wie der Teufel und ruft: »Ja Chindä, hitt gitss de gwiss e heissä Tag!»

Aus der Sagen-Sammlung von Spitalpfarrer Josef Müller
Sprecherin: Myriam Planzer
Tonaufnahmen: Florian Arnold